Journal Onkologie
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Die Entbudgetierung der Haus­ärzt:innen ist nun der Kern des abgespeckten Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) und soll ab dem 4. Quartal 2025 erfolgen. Außerdem wird eine Versorgungs- und eine Vorhaltepauschale eingeführt. Alle Leistungen der allgemeinen haus­ärztlichen Versorgung einschließlich Hausbesuche sollen vollumfänglich mit den Preisen der regionalen Gebührenordnung zum Orientierungswert bezahlt werden. Dafür werden Teile der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) entnommen.

Doch das Gesetz enthält Tücken, und frisches Geld von den Krankenkassen gibt es nicht. Die Kassen wehren sich: Die Budgetierung habe sich insgesamt bewährt, teilte der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) auf Anfrage mit. „Daran zu rütteln hieße, die Kosten weiter nach oben zu treiben, ohne dafür im Gegenzug die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern.“ Der AOK-Bundesverband fordert sogar die Rücknahme der Entbudgetierung der hausärztlichen und der kinderärztlichen Honorare von insgesamt 720 Millionen Euro: „Gerade die Honorargeschenke, die vor der Wahl an die Ärzteschaft gemacht worden sind, schaffen keinerlei Mehrwert für die Versorgung. Niemand wird dadurch besser oder schneller behandelt“, sagte die AOK-Vorständin Carola Reimann. „Daher fordern wir eine Rücknahme dieser Maßnahmen, die mit der aktuellen Finanzsituation der GKV einfach nicht zusammenpassen.“

Honorarumverteilung könnte drohen

Doch auch das neue Gesetz selbst birgt Risiken, insbesondere für die ambulante fachärztliche Versorgung. Denn durch den geplanten Berechnungsalgorithmus für die Ermittlung der Gesamtvergütung würde bestehenden Fördermaßnahmen wie beispielsweise dem Strukturfonds die Finanzierungsgrundlage entzogen, mahnte zuletzt der Gesundheitsausschuss des Bundesrates. Beim Strukturfonds wird bisher vor Aufteilung der MGV auf Haus- und Fachärzt:innen ein prozentualer Anteil für Sicherstellungsmaßnahmen abgezogen. Die vorgeschlagene Berechnung des hausärztlichen Honorars ignoriere diese „hoheitlichen Finanzierungsaufgaben“, teilte der Ausschuss mit. Als Konsequenz würde der Finanzierungsbedarf für diese Aufgaben in den weiterhin budgetierten fachärztlichen Vergütungsbereich verschoben. Als Folge müssten die KVen den Umfang ihrer bisherigen Förderungen einschränken. Der Ausschuss schlägt deshalb eine Korrektur mit dem „nächstmöglichen Gesetzesverfahren“ vor.

Weitertrommeln für Fachärzt:innen

KVen und Ärzteverbände halten derweil an der vollständigen vertragsärztlichen Entbudgetierung fest. Dr. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbandes der Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa), sagte: „Es nützt unseren Patientinnen und Patienten nichts, wenn sie nach Besuch des Hausarztes oder der Hausärztin in sehr vielen Fällen anschließend monatelang auf eine korrekte fachärztliche Diagnose warten müssen, die fast immer Voraussetzung für eine effektive Therapie ist. Nur wenn alle Budgets für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte umgehend abgeschafft werden, lassen sich ein langes Leiden und Ausharren auf Wartelisten vermeiden.“

Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) verlangt im nächs­ten Schritt die Entbudgetierung der Fachärzt:innen. Die KBV habe immer den Ausstieg aus den Budgets in der gesamten vertragsärztlichen Versorgung gefordert, hieß es auf Anfrage. Alle korrekt erbrachten ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen müssten zu festen Preisen vergütet werden.

Die Gründe für die Budgetierung müssten genauer analysiert werden, um passende Lösungen zu entwickeln, anstatt die Ärzt:innen einseitig zu benachteiligen, sagt auch Knauf. „Budget ist ja nichts anderes als eine Zügelung eines ansonsten vielleicht überschießenden Leistungsangebots. Es sollen ja vor allem Doppel- und Dreifachleistungen vermieden werden.“ Es gebe also gute Gründe, für eine Budgetierung zu argumentieren.

„Ich kann es aber nicht verstehen, wenn es dann Leistungen oder Leistungserbringergruppen betrifft, die gar nicht anders können, als bestimmte Leistungen zu erbringen“, fügt er hinzu. „Das wird dann auf dem Geldbeutel der Ärzte ausgetragen, die praktisch ein Quartal im Jahr umsonst arbeiten sollen.“

Budget für Transfusionen „skandalös“

Vielmehr müsse das Morbiditätsrisiko von onkologischen Pati­ent:innen akzeptiert werden und in diesen Fällen die Entbudgetierung umgehend erfolgen, fordert Knauf. „Es ist eigentlich erschütternd, dass die transfusionsmedizinische Versorgung von Krebspatienten budgetiert ist. Bei meinen Patienten, die zum Teil über Jahre hinweg mit roten Blutkörperchen versorgt werden müssen, habe ich Quartal für Quartal eine Auszahlungsquote meiner angeforderten Honorarleistungen von 70 bis 73%. Das ist ein Skandal, weil die transfusionsmedizinische Versorgung eine lebenserhaltende Maßnahme ist. So etwas darf nicht budgetiert sein.“

Um Überdiagnostik zu vermeiden, sieht Knauf ganz andere Möglichkeiten als die Budgetierung. Was vermeidbare Mehrfachuntersuchungen betrifft, erhofft er sich vor allem Verbesserungen durch die elektronische Patientenakte. So bekämen Ärzt:innen einen besseren Überblick, welche Diagnostik bereits durchgeführt wurde und daher nicht mehr wiederholt werden muss. Einen wirklichen Regulierungsbedarf durch die Politik sieht Knauf aber auch in diesem Punkt nicht: „Da immer weniger Facharzttermine zur Verfügung stehen, wird auch das viel gerügte Ärzte-Hopping bald der Vergangenheit angehören.“

Praxisschließungen sind für Onkolog:innen tabu

Jahrelang hatte die KBV mit Kampagnen für die Entbudgetierung getrommelt und schließlich bei den Hausärzt:innen zum Erfolg beigetragen: Die im Sommer 2023 gestartete Kampagne #Praxenkollaps wurde nach KBV-Angaben von vielen Praxen landesweit unterstützt. Für die aus der Kampagne hervorgegangene Petition zur „Verbesserung der Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung“ haben Ärzt:innen Unterschriftenlisten in ihren Praxen ausgelegt. Über eine halbe Million Bürger:innen haben unterschrieben, sodass sich 2024 der Petitionsausschuss des Bundestages in einer öffentlichen Anhörung mit dem Anliegen befassen musste. Im April 2024 startete dann die „Für Sie nah-Kampagne“ der KBV und der KVen, gefolgt von der Kam­pagne #Praxenland. Sie zielt darauf ab, die kritische Lage der Praxen in den Fokus zu rücken und macht sich für eine angemessene Vergütung und feste Preise stark.

All diese Maßnahmen hätten ihren Teil dazu beigetragen, die Budgetierung in der ambulanten Versorgung zu beenden, betont die KBV und verspricht: „Die Entbudgetierung der Hausärztinnen und Hausärzte war der Anfang, wir setzen uns weiterhin für die Gebietsärztinnen und -ärzte ein. Auch hier müssen feste Preise eine Selbstverständlichkeit sein. Dafür werden wir uns in der kommenden Legislaturperiode mit ungebremster Kraft stark machen.“

Nicht ohne Kritik blieben dagegen die zahlreichen Praxisschließungen und Zurückweisungen von Neupatient:innen durch Arztpraxen in den letzten Jahren. Unter anderem hatte der Virchowbund Hausarzt- und Facharztpraxen dazu aufgerufen. Das rief die GKV und auch Patientenschützer:innen auf den Plan, die die Aktionen teilweise scharf kritisierten. Auch der Hausärzteverband Berlin und Brandenburg (BDA) hatte immer wieder mit weiteren Praxisschließungen gedroht, sollte die Entbudgetierung der Hausärzt:innen nicht kommen. Als das GVSG beschlossen war, teilte der Verband mit, Praxisschließungen erst einmal nicht mehr ins Auge fassen zu wollen.

Doctor meeting patients at the hospital

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Für Knauf ist das unvorstellbar: „Ich kenne keine einzige Onkologin und keinen einzigen Onkologen, die sich an diesen Protesten beteiligt haben. Für unser Fach kommt das auch überhaupt nicht infrage, weil wir massiv die Vertrauensbasis zwischen unseren Patienten und uns stören würden.“ Lebensnotwendige Behandlungen wie Chemotherapien müssten weitergeführt werden. Da sei es unmöglich, die Patient:innen vor verschlossenen Türen stehen zu lassen.

Budgetierung verhagelt Niederlassungsfreude

Verständnis hat Knauf für die schwierige Situation der Hausärzt:innen aber durchaus. Schließlich hätten diese ein ausgemachtes Nachwuchs­problem. Auch er beobachtet, dass die Niederlassungsfreudigkeit beim Nachwuchs erheblich abgenommen hat: Einerseits seien Work-Life-Balance und mehr Zeit für die Familie wichtiger geworden. Andererseits seien viele nicht mehr bereit, unternehmerische Verantwortung für eine Praxis zu übernehmen. „Das finde ich durchaus verständlich, da die Rahmenbedingungen deutlich schwieriger sind als noch vor ein, zwei Generationen.“ Es gebe zu viele Unsicherheiten und regulatorische Zwänge wie beispielsweise die Budgetierung von Leistungen. „Es ist deshalb für viele inzwischen deutlich attraktiver, als Angestellte mit festem Gehalt und Urlaubstagen zu arbeiten, anstatt am Ende des Quartals nach langen Arbeitstagen feststellen zu müssen, dass ein Drittel der Leistungen nicht bezahlt worden sind.“

Dabei findet Knauf ein gut ausgebautes Praxisnetz unverzichtbar. Die Digitalisierung ermögliche es auch, höchste Versorgungsqualität in die Fläche zu bringen: „Für Tumorkonferenzen setzen wir uns in der Regel ja nicht mehr an einen Tisch, sondern schalten uns in Videokonferenzen zusammen. Wir bilden digital ein Zentrum und wir haben den Meinungsaustausch: Wir können gemeinsam Röntgenbilder angucken, Laborwerte diskutieren und so weiter. Ich bin aber als Facharzt für Hämatologie und medizinische Onkologie vor Ort für meine Patienten da. Besser geht es doch eigentlich nicht.“

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