Journal Onkologie
Hämatologie
Inhaltsverzeichnis

Der Weg zur Informiertheit

Der Weg von dem ersten Gelähmt-sein hin zur Akzeptanz meiner Erkrankung bis zu der Überzeugung, dass ich jetzt einen neuen Job habe, der meine ganze Aufmerksamkeit fordert – Krebspatientin –, war nicht einfach.

Zu Beginn war da die Überwältigung durch die Flut medizinischer Informationen: Völlig neue Fachbegriffe, zahlreiche Gespräche über diverse Therapieoptionen und Hintergründe – alles schien undurchschaubar. Ein Auf und Ab der Gefühle. Mein Mann formulierte das einmal so: „Das Tempo der Erkenntnisse ist schneller als der Verstand erfassen kann.“ Doch Schritt für Schritt begann ich, mich in die Materie einzuarbeiten. Gespräche mit Ärzt:innen, die intensive Recherche in vertrauenswürdigen Quellen halfen mir dabei, ein Verständnis für meine Erkrankung und die möglichen Behandlungswege zu entwickeln. Ich hangelte mich von Information zu Information und nahm jeden neuen Gedanken dankbar auf.

Mir war schnell klar: Ein informierter Patient versteht nicht nur die Diagnose besser, sondern ist auch präsenter und kann auch aktiv bei den einzelnen Therapieoptionen mitentscheiden.

Natürlich konnte ich in wenigen Wochen kein Medizinstudium nachholen, wollte es auch gar nicht. Die sog. Augenhöhe halte ich daher auch für fast nicht erreichbar. Ich bin und werde niemals Kollegin sein, ich bin Patientin. Mein Know-how liegt auf einem ganz anderen Gebiet. Was ich erreichen konnte war aber, mehr Wissen über Details zu meiner ganz spezifischen Diagnose, dem diffus-großzelligen B-Zell-Lymphom, zu sammeln. Meine Fragen wurden genauer, meine Gespräche mit den Ärzt:innen intensiver. Ich merkte, wie sich die Dynamik veränderte: Ich wurde nicht mehr nur als Patientin wahrgenommen, sondern als Partnerin im Therapieteam.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema:

Diffuses großzellige B-Zell-Lymphom (DLBCL)

Jetzt lesen

Wir, die Patient:innen, dürfen unsere Persönlichkeit nicht an der Anmeldung abgeben und denken, ab jetzt sind die medizinischen Fachkräfte dran, die werden das schon richten. Ein Patient, der im Krankenhausnachhemd unter der Klinikbettwäsche verschwindet, hat den Effekt von weißer Taube auf weißer Tapete, er wird unsichtbar. Das war ein Verhalten, das ich häufig beobachtete. Einher ging damit meist auch eine gewisse Selbstaufgabe, die das Krankenzimmer mit Schwermut erfüllte. Ich arbeitete dagegen und zeigte, wie es anders ging.

Eigenes Nachthemd an, den Tagesrhythmus durch den Wechsel der Kleidung aufnehmen – wenn es ging. Sich zur Visite im Bett aufsetzen. Etwas dekorative Gesichtspflege und Ablenkung durch Bücher, Musik, kurze Spaziergänge über den Stationsflur oder durch den klinikeigenen Park. Und vor allem, vorbereitet sein auf die Visite. Fragen parat haben, immer – und die wichtigste Frage zuerst stellen. Es war erstaunlich zu sehen, wie schnell sich bei meinen Mitpatient:innen wieder mehr Lebensmut einstellte.

Später erfuhr ich dann von einer guten Fragetechnik, die insbesondere beim Erstgespräch hilft, schnell umfassende Informationen zu bekommen und dazu noch die Zeit im Sprechzimmer effektiv zu nutzen. Das ist die Methode „Ask me 3“. Das Konzept dazu wurde vom Institute for Healthcare Improvement aus den USA entwickelt (Quelle: AIXTRA: https://gekoko.de/gesundheitswesen/methoden/methoden-detailansicht/ask-me-3-drei-fragen-fuer-patienten) und wird inzwischen international eingesetzt.

Dieser Ansatz zielt darauf ab, Patient:innen zu ermutigen, diese 3 zentralen Fragen zu stellen:

1. Welche Möglichkeiten habe ich? (inklusive Abwarten und Beobachten)

2. Was sind die Vor- und Nachteile jeder dieser Möglichkeiten?

3. Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Vor- und Nachteile bei mir auftreten?

Hinzu kommt, dass Studien gezeigt haben, dass Patient:innen nicht mehr als 7,5 Minuten im Behandlungszimmer haben, um Fragen zu stellen – eine gute Vorbereitung ist daher entscheidend. Zusätzlich zu dieser Methode wende ich inzwischen diese Vorgehensweise an: Fragen im Voraus priorisieren und notieren, die Fragen ankündigen und die wichtigste Frage zuerst stellen. Das Gehörte anschließend mit meinen eigenen Worten zusammenfassen, um sicherzugehen, dass ich alles richtig verstanden habe.

Die psychologische Seite der Informiertheit

Informiert zu sein, hat jedoch nicht nur positive Seiten. Zu viel Wissen kann verunsichern und Ängste schüren. Die Konfrontation mit Statistiken über Überlebensraten, Prognosen und Nebenwirkungen ist manchmal sehr belastend. Ich habe die Gabe, das alles schnell auszublenden. Das hat mir oft geholfen. Oder ich habe meinen Mann gebeten, der jede Studie über meine Erkrankung gelesen hatte, mir nur die Quintessenz mitzugeben, um sie dann in der ärztlichen Besprechung einfließen lassen zu können. Gleichzeitig gab mir das erlangte Wissen ein Gefühl von Kontrolle zurück. Ich war dem Lymphom nicht mehr vollkommen ausgeliefert, sondern konnte aktiv etwas tun – selbst, wenn es „nur“ bedeutete, die richtigen Fragen zu stellen.

Diese mentale Stärkung ist ein zentraler Aspekt, den informierte Patient:innen erleben. Studien zeigen, dass Betroffene, die ihre Krankheit verstehen und sich in den Behandlungsprozess einbringen, weniger Angst und mehr Zuversicht empfinden. Sie fühlen sich als aktive Gestalter ihrer Gesundheit und nicht als passive Empfänger medizinischer Entscheidungen, was wiederum eine höhere Therapietreue bedeutet.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema:

R/R DLBCL: CAR-T-Zell-Therapie auch für vulnerable Erkrankte geeignet

Jetzt lesen

Veränderte Arzt-Patient-Beziehung

Interessanterweise reagierten die meis­ten meiner behandelnden Ärzt:innen positiv auf mein Engagement. Niemand empfand meine Fragen als Infragestellung ihrer Kompetenz. Tatsächlich ging ich manchmal sogar nach einem Gespräch noch einmal höflich klopfend zum Arztzimmer zurück, um nachzuhaken, wenn ich mich unsicher fühlte. Auch das wurde mir nie nachteilig ausgelegt. Insgesamt führte meine Haltung zu einer respektvollen gegenseitigen Wahrnehmung und einer besseren Kommunikation.

Als sich das Team nach dem Nichtansprechen der Ersttherapie und der überraschenden Absage für die CAR-T-Studie für einen Off-Label-Use entschieden hatte, erwiderte der Professor meinen skeptischen Blick mit den Worten: „Wir versuchen das, weil wir denken, dass Ihre Haltung das positive Ansprechen begünstigen wird. Es ist nicht mehr als eine Hoffnung, aber die ist groß.“ Er sollte recht behalten. Meine Chancen lagen damals statis­tisch bei 3%.

Ein Röntgenologe wiederum erzählte mir in einem Vorgespräch, dass es für ihn neu sei, so konkrete Fragen zur Bestrahlung gestellt zu bekommen. Aus diesem Gespräch ging ich mit einer aufschlussreichen Zeichnung hinaus, die mir half, den Ablauf und das Erfordernis der medizinischen Maßnahme besser zu verstehen. Alle nahmen sich Zeit für Erklärungen und begrüßten meine aktive Beteiligung.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema:

Erfolgreiche Kommunikation mit Patient:innen: worauf es ankommt

Jetzt lesen

Neues Rollenverständnis

Der informierte Patient verkörpert ein neues Rollenverständnis in der Medizin. Während früher der Arzt oder die Ärztin die alleinige Entscheidungshoheit hatte, setzt sich heute zunehmend ein partnerschaftlicher Ansatz durch. Patient:innen werden ermutigt, ihre Fragen zu stellen, ihre Sorgen zu äußern und aktiv an Entscheidungen teilzunehmen. Dieses Modell, bekannt als „Shared Decision Making“ (SDM), hat sich als besonders erfolgreich erwiesen. „Ask me 3“ gehört auch dazu.

Außerdem wissen Patient:innen heute mehr und möchten auch mehr wissen als noch vor 10 oder 15 Jahren. Das Internet ist voll mit durchaus guten Quellen, wie denen der Deutschen Krebshilfe, des Krebsinformationsdienstes oder „Selpers“. Ein Gespräch mit dem Behandelnden ersetzen sie natürlich nicht.

Dass Patient:innen mit Fragen aus solchen Quellen zu ihnen kommen, ist legitim und sollte nicht verteufelt werden. Im Gegenteil. Ich würde mir wünschen, dass der Kommunikationsspieß insofern umgedreht würde, als dass die Behandler:innen gleich mal fragen, ob die Patient:innen schon mal recherchiert haben und welche Fragezeichen dazu aufgetaucht sind. Denn das Schlimmste, was passieren kann, sind falsche Annahmen, die nicht besprochen und aufgelöst werden und damit in einen Rattenschwanz an Missverständnissen und sogar in nicht zielführende Behandlungen münden.

Auch ein Phänomen, das ich immer wieder beobachtet habe, ist diese Verhaltensweise von Patient:innen: Kurz vor der Visite ging es ihnen hundeelend, doch kaum betrat der Ärztetross die Szene, erwähnten sie nichts davon! Der Grund liegt sicher darin, dass niemand länger als unbedingt nötig im Krankenhaus liegen möchte und dann manchmal auch nur die halbe Wahrheit über sein Befinden kundtut. Ganz kurios fand ich auch solche Sätze: „Das kann ich dem Arzt doch nicht zumuten. Ich kann ihm doch nicht sagen, dass ich mich in der Nacht übergeben habe.“ Was? Wie bitte?

Nellas Neuaufnahme – Warum sich  Patienten und Ärzte besser verstehen sollten“ ist auf allen Streamingkanälen verfügbar, z.B. auf Spotify.

Doch diese Entwicklung erfordert Veränderungen auf beiden Seiten. Patient:innen müssen die Bereitschaft zeigen, sich mit ihrer Krankheit auseinanderzusetzen, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen und Ärzt:innen müssen lernen, ihre Patient:innen als gleichwertige Partner zu behandeln. Auch das Gesundheitssystem muss diese Entwicklung unterstützen, etwa durch die Bereitstellung von Schulungsprogrammen für Ärzt:innen und leicht zugängliche Informationen für Patient:innen. Dafür setze ich mich immer wieder ein.

Ein Ansatz ist es, die Infomappen für medizinische Behandlungen zu überarbeiten und in eine patientengerechte Sprache zu übersetzen, aber auch Patient:innen eine Anleitung für die Gesprächsführung an die Hand zu geben. Ihnen z.B. auch zu vermitteln, dass auch das Einholen einer Zweitmeinung ihr gutes Recht ist. Denn davor haben, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, viele Patient:innen große Angst, weil sie befürchten, dass das Verhältnis zur Ärztin oder zum Arzt Schaden nehmen könnte.

Die Wandlung der Rollen auf beiden Seiten des Besprechungstisches in der modernen Medizin ist eine Chance, die wir nutzen sollten.

Autorenkasten Nella Rausch

Stichwörter